Am Rheinfall

11 Stauwehre: Vom Bodensee nach Basel

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(Logbuch vom 15. – 20. Juli 2018)

Es ist schon nach Mittag als ich am Ufer vom Bodensee stehe. Mein Kajak erregt Aufmerksamkeit und während ich versuche, all mein Gepäck das mir mein Vater im Fahrradanhänger heruntergebracht hat im Boot zu verstauen, spricht es sich herum, dass ich auf Expedition gehe. Schlussendlich steht eine Gruppe von fast zwanzig Personen am Ufer um mich zu verabschieden. Irgendwie will ich nicht so ganz losfahren, denn ich weiss nicht was mich erwartet. Und womöglich komme ich von dieser Tour nicht mehr zurück.
Ich bin froh, als ich endlich in Konstanz unter der Brücke durchfahre. Kilometer 0. Niemand weiss, dass ich diesmal massives Unbehagen gegenüber meiner Reise habe und ich bin froh dass das niemand sieht. Mein Boot ist falsch gepackt und zieht nach rechts. Der Wasserspiegel ist so tief wie im Winter. Von Hochwasser ist dieses Jahr keine Spur. Im Untersee muss ich die Schiffsspur fahren weil der Rest des Sees sonst zuwenig tief ist.
Es ist heiss und ich mache Pause beim Schwimmbad Berlingen. All bestaunen mein Kajak. Den Rest des Sees fahre ich voll im Wind auf der falschen Seite und mit Skeg weil mein falsch gepacktes Boot sonst nicht gerade hält. Der Toilettenstopp an der Insel Werd wird wieder zu einer Vorführaktion und ich muss erzählen wo ich hin will. Es ist schon Abend als ich durch Stein am Rhein fahre, aber endlich gibt es Strömung. Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz komme ich um neun Uhr an einer Kiesbank vorbei, auf der ein Lagerfeuer brennt. Zwei Kanutinnen sind gerade beim Nachtessen und laden mich ein, Feuer und Zeltplatz zu teilen.

Am nächsten Morgen bin ich früh wach und versuche, das Feuer wieder in Gang zu bringen, was mir allerdings nicht so recht gelingt. Ich wundere mich, dass es mir trotz der 40km vom Vortag erstaunlich gut geht. Ich hatte dieselben Kreislaufprobleme und Muskelkater vom Vorjahr erwartet. In kurzes Bad im Fluss, dann fahre ich den beiden Kanutinnen hinterher.
In Schaffhausen erwartet mich K. mit dem Auto. Wir fahren bis unterhalb vom Rheinfall, dann geht es weiter im Kajak über die schöne Strecke durch die Rhinauer Rheinschleife, wo auch das erste Kraftwerk zu umtragen ist. Durchaus noch bequem auf dem automatischen Schienenwagen.
Um halb vier sind wir in Eglisau.
Als ich allein weiterfahre merke ich wie müde ich bin. Kurz vor dem Kraftwerk Eglisau finde ich auf der rechten Seite einen Steg für Fischer und beschliesse zu bleiben. Ich parke mein Kajak schwimmend unter dem Steg, esse den Rest Risotto und spanne meine Hängematte auf.Viel Schlaf bekomme ich jedoch nicht. Der Lärm und das Licht vom Kraftwerk, Flugzeuge im Anflug auf Zürich, Sorge ums Boot, die schlecht gespannte Hängematte lassen mich nicht schlafen. Und so bin ich kurz vor acht Uhr schon am Kraftwerk. Mit dem grossen Bootswagen geht die Umtragerei gut. Ich wassere ein und kentere beim Versuch, einzusteigen. Beide Hände auf dem Steg lassen hat Rene gesagt. Zum Glück ist das Wasser warm und ich bin zwei Stunden später wieder trocken.
Gegen den Wind fahrend komme ich am Stauwerk Reckingen an. Ich habe das Gefühl ich würde im Stausee aufwärts fahren. Umtragen geht mit Bootswagen einfach, braucht aber Zeit und als ich wieder im Boot sitze beginnt es zu regnen.
Die Strömung wird stärker. Da unten kommen die Stromschnellen vom Koblenzer Lauffen. Ich war mir bis zum Abfahrtstag nicht sicher, ob ich den nun fahren oder umtragen soll.
Ich erwische das Kehrwasser für die Umtragung und bin mächtig stolz drauf, dass ich das jetzt auch mit dem grossen Kajak kann. 3km tragen sind mir allerdings zu lang. Aber ich will umtragen, der Wasserstand ist mir viel zu tief als dass ich Kontakt haben will mit den Felsen knapp unter der Wasseroberfläche. Ich wechsle die Stromseite und schleiche mich am Ufer entlang bis zur offiziell angeschriebenen Umtragestelle. Kaum habe ich mein Kajak draussen fährt eine Raftingtourgruppe johlend in den Lauffen ein. Mist, das wäre vielleicht doch gegangen.

Die Umtragerei über den Kiesweg ist mühsam. Ich habe die Hälfte von meiner Ausrüstung ausgepackt und trage sie voraus. Die Ikea-Tasche ein paar hundert Meter weit tragen, absetzen, zurück laufen, Kajak bis dahin schieben, von vorne. Alles im Regen und der Weg macht einen grossen Umweg durchs Naturschutzgebiet und der Bahnlinie entlang. Spaziergänger fragen wo ich hin will und ich erfahre, dass im nächsten Jahr in Bad Zurzach zur Ehre der Heiligen Verena ein grosses Fest stattfindet. Nach zwei Stunden und ebenso vielen Kilometern kann ich nicht mehr. Ich setze mich auf den schmalen Weg für eine Pause und etwas zu Essen.
Die letzten Meter hilft mir ein Mann mit französischem Akzent und rotem Pixel- T-Shirt. Dann stehe ich wieder am Ufer und merke zu spät, dass ich Einbootstelle am schlechtesten Ort gewählt habe. Ich muss über die spitzen Steine direkt in die Strömung einbooten. Ich schiebe mein Kajak über ein Stück Holz ins Wasser, steige ein und drücke mich ab, darauf gefasst, dass mich die Strömung umkippen könnte. Aber alles geht gut und auch beim folgenden Schwall fahre ich einfach durch, allerdings mit einem flauen Gefühl im Magen. Es ist halb sieben als ich endlich auf dem Campingplatz von Waldshut ankomme, wo mein Vater seit dem Morgen auf mich gewartet hat. Er fährt mit dem Fahrrad ein Stück der Rheinstrecke und hatte letzte Nacht dort übernachtet. Eigentlich hatten wir uns zum Mittagessen treffen wollen aber ich hatte viel zu lange gebraucht und ein lokales Gewitter hatte ihn schlussendlich am weiterfahren gehindert. Ich rolle mein Kajak auf den ersten Campingplatz der Reise, beziehe ein Bett in Papas Zimmer und wir gehen im Campingrestaurant essen. Luxus pur.

Aber wie immer, wenn mein Körper merkt, dass die Nacht bequem war tut mir am nächsten Morgen alles besonders weh, speziell nach der kräftezehrenden Umtrageaktion vom Vortag. Als ich um zehn Uhr endlich ablege tun mir die Arme so weh, dass ich mich einfach treiben lasse. Ich treibe am Kernkraftwerk vorbei und muss die Ausbootstelle am nächsten Kraftwerk erst zu Fuss suchen. Der kraftwerkseigene Bootswagen hat riesige Reifen. An der Einbootstelle setze ich mich erst mal in den Schatten und mache Mittagspause um etwas zu essen. Eine Gruppe junger Männer sitzt auch auf der langen Betonrampe. Ich halte sie für Schwimmer, als ein Bus mit Rafts heranfährt. Eine kommerzielle Bootstour also. Den Paddeltalk mit den Erklärungen zum Raft und der Strecke höre ich mit in der Hoffnung, ein paar Tipps zur Strecke zu erfahren. Es weckt Erinnerungen an zwei kalte Wochen auf dem Vorderrhein vor bald zehn Jahren wo ich das Führen einer Raftingtour trainiert habe.

Als ich merke, dass die Tour los geht packe ich zusammen und boote ein, um Platz zu machen für die Rafts. Paddeln mag ich immer noch nicht und so lasse ich mich treiben, immer etwas auf Distanz zu den Rafts, die auch nicht paddeln. Am Kraftwerk Laufenburg lasse ich der Tour den Vortritt, die aber prompt mein Kajak auch noch oben auf ihr Raft packen und mit dem Bootswagen mitschieben. Ich spreche den Guide auf den Lauffen an. Es sei wohl schon besser gewesen, dass ich ohne Ortskenntnisse umtragen hätte. Sie seien mit dem Rafts aufgesessen, so niedrig sei das Wasser.

Die Einbootstelle ist ein Bootslift. Wir packen die Rafts, mein Kajak und die komplette Gruppe auf die Plattform und fahren runter bis ans Wasser, wo erst ich und dann die Rafts zu Wasser gelassen werden. Der Tourguide empfielt mir, auf dem kleinen Camping des Tourbetreibers bei Murg zu campen und so bekomme ich auch noch Hilfe beim Ausbooten. Ich koche und baue mein Zelt auf, danach gehe ich schwimmen. Im Wasser sind auch noch zwei Jungs mit Krokodil-Kajaks, die nicht glauben können, als ich ihnen von meinem Vorhaben erzähle.

Danach gehe ich den Penny Supermarkt suchen und laufe erst eine Stunde lang in die falsche Richtung. Die Füsse schmerzen, ich habe offene Blasen von gestern vom Laufen in den feuchten Paddelschuhen. Schlussendlich finde ich den Supermarkt. Die Plastikflasche die ich dort kaufe begleitet mich als Fender bis zum Ende der Tour. Zurück auf dem Campingplatz esse ich noch einen Salat als Dessert während ich mit einem Fahrradfahrer über den zweiten Weltkrieg (kein Wunder bei den vielen Bunkern am Ufer) und Langdistanzreisen diskutiere.

Ich bin spät schlafen gegangen und so bin ich am nächsten Tag die letzte auf dem kleinen Campingplatz. Eine Gruppe Kinder legt mit ihren Kanus am Steg an als ich dort am Packen bin. Meine teuren Carbonpaddel kann ich gerade noch in Sicherheit bringen. Denn ich weiss: Keine Paddel – keine Reise und so passe ich auf die besonders gut auf und nehme sie auch abends immer mit ins Zelt.
Ausbooten am Kraftwerk Schwörstadt ist nicht ganz einfach und die automatische Umsetzungsanlage wegen Vermessungsarbeiten gesperrt. Ich rolle mein Kajak auf die andere Seite wo ich an einer langen Treppe nicht mehr weiter komme. Etwas hilflos frage ich die zwei Vermesser, was denn mit der Umsetzungsanlage sei und überrede sie zur Mithilfe. «Wenn du ein Mann wärst würden wir das nicht machen» bemerkt der eine und sie tragen mein Boot sämtliche Treppen hinunter bis zum Wasser. Am Rhyfelder Kraftwerk gibt es einen neuen Schwimmsteg, der Bootswagen ist jedoch viel zu gross. Ich setze mich in den Schatten und koche mir etwas zu Essen. Es ist immer noch sehr heiss. Danach binde ich meinen eigenen Bootswagen unters Kajak und setze über die lange Rampe um. Um fünf bin ich beim Kraftwerk Rheinfelden. Mist, eine Eisentreppe. Ich parke mein Kajak in der Bucht daneben und gehe mir Hilfe organisieren. Die steht in Form von einem Ehepaar am der Einbootstelle das ich anspreche und um Hilfe bitte. Mit dem Kraftwerkseignen Bootswagen geht es dann schnell. Das Wasser an der Einbootstelle ist sehr kalt wegen Quellen, die dort einlaufen. Auch hier ist das Wasser so niedrig, dass die Rampe zu kurz ist.
Als ich unter der Brücke in Rheinfelden durchfahre höre ich vom Ufer her einen Zuruf. «Wunderschönes Kajak!». Der erste in einer langen Reihe von Bewunderern die ich auf meiner Reise treffe. Mit schweren Armen brauchen die letzten Kilometer Überwindung zum Paddeln. Der Camping Kaiseraugst ist zum Bersten voll, aber ich bekomme noch ein Fleckchen direkt am Wasser wo ich mein Zelt aufbauen kann. Es ist Hochsaison.

Ich komme am nächstem Morgen nur einen Kilometer weit bis zum Kraftwerk. Ausbooten mit dem eigenen Bootswagen über eine Rampe ist kein Problem. Ich rede mit einer Frau, die meint sie würde mich zum Kaffee nach Hause einladen aber der Weg zur Einbootstelle sei kürzer. So schleppe ich mein Kajak hinüber wo ich nicht mehr weiterkomme: Metalltreppen. 10 Stufen. Ich sehe keine Chance, da irgendwie wieder reinzukommen, und bei der Strömung würde die reinwerfen-reinspringen-Methode nicht funktionieren. Ich stehe noch ratlos herum als ein Gewitter losbricht. Ich werde klatschnass. Als das Gewitter vorbei ist google ich auf der Karte den nächsten Einstieg. Schweizerhalle in 2km. Versuchsweise ziehe ich die ersten 50m bis dahin. Nein, das hat keinen Sinn. Am Wegweiser am Kraftwerk sehe ich einen ganz kleinen Camino-Kleber. Ich bin auf dem Jakobsweg. Das gibt mir Mut und ich beschliesse, einfach mal auf gut Glück im Kraftwerk anzurufen und um Hilfe zu fragen. Statt wie erwartet beim Energieversorger im Büro lande ich direkt gegenüber im Leitstand. Der Herr am Telefon erklärt mir, dass er seinen Posten verständlicherweise nicht verlassen darf. Nach einigem hin und her findet er jedoch einen Kollegen der mir helfen kommt. Auch zu zweit ist es nicht einfach, mein 5.20m Boot über die weniger breite Treppe und Bootsteg wieder ins Wasser zu lassen.
Das Kraftwerk Birsfelden ist danach wieder einfach zu bewältigen. Ich steige am Ruderclub aus und rolle mein Kajak quer durch den Park. Von der Rampe muss ich 50 Meter rückwärts paddeln bis ich wieder im Flussbett bin weil der Kanal zu eng ist um zu wenden. Gar nicht so einfach.

Um sechs Uhr fahre ich in Basel ein und gleich weiter bis nach Hüningen. In meinem Paddelführer steht, dass man beim dortigen Yachtclub übernachten könne. An der beschriebenen Stelle ist jedoch schon der private Bootclub von Villeneuve, die nichts von übernachten wissen und mich die 2km flussaufwärts wieder zurückschicken bis auf den Campingplatz, zu dem ich mich auch erst durchfragen muss. Dabei sehe ich mein erstes Rheinfrachtschiff und stelle erstaunt fest, dass die seitwärts einparken können. Kaum habe ich am Campingplatz mein Zelt aufgestellt fängt es an stark zu regnen. Und hier stelle ich endlich fest was ich in der Hitzeperiode der vergangenen Wochen nicht testen konnte: Mein Zelt ist nicht dicht.

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